SOS Tummelplatz

In wenigen Tagen, am 27. Juni 2023, wird der Wettbewerb „Neugestaltung Tummelplatz“ entschieden. Die den Wettbewerb entscheidende Jurysitzung ist die wohl letzte Chance, um grundsätzlich zu diskutieren, ob der Tummelplatz tatsächlich neugestaltet oder doch besser saniert werden sollte. Ein Appell an die Wettbewerbsjury

SOS Tummelplatz

Veröffentlich in

GAT.news

Datum

19.06.2023

Autoren

Stoiser Wallmüller Architekten

Fotografie

© Paul Ott

„Jeder kennt ihn, weil er so anders ist als andere Plätze. Er ist nicht heimelig, er ist nicht eben, setzt sich teilweise in die Fassaden hinein fort, ist fast nicht behübscht und dadurch auch etwas elitär, verlangt nach Aktion. Ist Platz, ein sehr städtischer Platz, in gebauter Umgebung. Sein Raster ist gegliedert und geformt, und er hat zwei Gesichter – eines für den Tag und eines für die Nacht.“ Text: Geramb Dankzeichen 1994. Foto: © Paul Ott

Der Grazer Tummelplatz, 1991 gestaltet von Alfred Bramberger (Architektur) und Michael Zinganel (Kunst am Bau), war zum Zeitpunkt seiner Entstehung der erste echte, nutzungsoffene Platz in Graz. Der Entwurf ging 1990 siegreich aus einem von der Stadt Graz ausgeschriebenen offenen Architektur- und Kunst-am-Bau-Wettbewerb hervor und wurde von der Wettbewerbsjury – Domenig, Göschl, Haberl, Koch, Kowalsky, Oberhuber, Rosmann – einstimmig als „einzig realisierungswürdiger Beitrag“ zur Ausführung bestimmt. Nicht nur die minimalistische Platzgestaltung, auch das künstlerische Konzept war wegweisend. Zinganel schlug anstelle eines endgültigen Kunstwerks eine jährlich wechselnde künstlerischen Bespielung des Platzes vor, die über das Kunst-am-Bau-Budget von damals 1,4 Millionen Schilling (100.000 Euro) finanziert werden sollte. Gewinnbringend angelegt, sollte dieser Beitrag über einen Zeitraum von zehn Jahren ein jährliches Arbeitsbudget von 120.000 Schilling (8.700 Euro) bereitstellen. Zweimal wurde dieser Plan umgesetzt, danach ließ ihn die Stadt Graz fallen.

Auch heute ist der 1994 mit der GerambRose ausgezeichnete Tummelplatz ein herausragendes Beispiel der Architektur der späten „Grazer Schule“, die damals an der Schwelle zur neu aufkommenden Architekturströmung des Minimalismus stand. Als Teil des Unesco Weltkulturerbes, das den Schutz von Bauten von der Gotik bis ins 21. Jahrhundert umfasst, genießt der Tummelplatz zudem denselben Schutzstatus wie jedes andere historische Bauwerk der Grazer Altstadt.

Dennoch wurde der Tummelplatz in den letzten Jahrzehnten sukzessive durch die eigenen Ämter und Unternehmen der Stadt Graz heruntergewirtschaftet, wie das völlig entstellte Erscheinungsbild der heutigen Platzoberfläche zeigt. Diese Vernachlässigung zeugt nicht nur von einer mangelnden Wertschätzung der Stadt Graz für ihren öffentlichen Raum, sondern auch von der Geringschätzung der „Grazer Schule“, die die steirische Landeshauptstadt international bekannt gemacht hat. Der Tummelplatz ist ein weiteres, eindrückliches Beispiel jener mittlerweile zahlreichen Bauten der „Grazer Schule“, die heute vom Abriss bedroht sind.

Der aktuell laufende Realisierungswettbewerb „Neugestaltung Tummelplatz“ reiht sich in diese fragwürdige Entwicklung leider ein. Sein Ziel – Abriss und Neubau statt Erhalt und Adaptierung von Bestand – ist nicht nur baukulturell bedenklich, sondern verfehlt auch die Ziele nachhaltigen, ressourcenschonenden Bauens.

Vor diesem Hintergrund sollte daher die Absicht des Wettbewerbs nochmals grundlegend überdacht werden. Nimmt man die baukulturelle Bedeutung und Schutzwürdigkeit des Tummelplatzes, aber auch aktuelle Debatten zum nachhaltigen Bauen erst, wäre nicht die Neugestaltung, sondern die Sanierung des bestehenden Tummelplatzes die logische Konsequenz. Eine Sanierung allerdings, die in Zeiten des Klimawandels auf aktuelle Anforderungen zu reagieren weiß und auch die Ergebnisse des Bürger:innenbeteiligungsprozesses integriert.

Im Rahmen einer von der Stadt Graz beauftragten Sanierungsstudie des Büros Bramberger wurden noch vor Start des Wettbewerbes wesentliche Fragen einer zeitgemäßen Adaptierung der heutigen Gestaltung des Tummelplatzes geklärt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass sämtliche Maßnahmen zur Erfüllung aktueller Anforderungen aus den Gestaltungsprinzipien des bestehenden Platzes abgeleitet werden können. Neupflanzung von Bäumen, Natursteinbelag, Schwerlastbefahrbarkeit, Verbesserung der Sickerfähigkeit und der Beleuchtung: Auf all diese Fragen bietet der heutige Platz konkrete Antworten. Auch diverse, durch den Bürger:innenbeteiligungsprozess gewünschte Ergänzungen wie Wasserspiele oder Sitzgelegenheiten könnten mit etwas Sensibilität in das bestehende Konzept integriert werden. Zur Klärung allfälliger offener gestalterischer Fragen wäre außerdem die Fortsetzung des Bürger:innenbeteiligungsprozesses denkbar. Dies würde die Chance eines partizipativen Prozesses eröffnen, mit dem Ziel, ein wichtiges Stück Grazer Baukultur zu erhalten und gleichzeitig auf aktuelle Anforderungen hin fortzuschreiben.

Es ist unklar, warum Brambergers Sanierungsstudie unter Altbürgermeister Siegfried Nagl gestoppt und stattdessen die Neugestaltung des Tummelplatzes eingeleitet wurde. Denn selbst für die nunmehr geplante Erweiterung der Platzgestaltung in die Seitengassen des Tummelplatzes braucht es keinen Wettbewerb, weil die Ausgestaltung dieser Flächen schon jetzt auf der Hand liegt. Bereits heute ist Kleinsteinpflaster in den Randbereiche des Tummelplatzes zu finden und damit Teil der aktuellen Gestaltung, außerdem soll Kleinsteinpflaster zukünftig auch außerhalb des Wettbewerbsgebiets in der Schmid- und Bürgergasse zum Einsatz kommen. Es ist also nur naheliegend, diesen Belag auch innerhalb des Wettbewerbsgebiets in den Seitengassen des Tummelplatzes einzusetzen.

Mit Blick auf die in wenigen Tagen anstehende Entscheidung des Realisierungswettbewerbs „Neugestaltung Tummelplatz“ wäre es äußerst begrüßenswert, wenn die Wettbewerbsjury die den Wettbewerb entscheidende Jurysitzung am 27. Juni 2023 zum Anlass nehmen würde, um nochmals grundsätzlich zu diskutieren, ob der Tummelplatz tatsächlich neugestaltet oder doch besser saniert und adaptiert werden sollte. Es wäre für die Grazer Baukultur wegweisend, wenn die Wettbewerbsjury den Mut hätte, die entsprechenden Konsequenzen aus dieser Debatte zu ziehen.